Wie wird unser Leben nach der Corona-Krise aussehen?

Heute ist der 3. Mai 2020. Die anfängliche Schockstarre der Welt ist längst vergangen und wir leben in einer veränderten Normalität. Die Industrie darf und soll wieder auf Hochtouren produzieren, die Dienstleister ihre Produkte anbieten und die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung bei den Arbeitgebern vor Ort erbringen. Der Umsatzentgang durch die Inaktivität der letzten Wochen, sowohl für Unternehmer als auch dem Staat, soll so rasch als möglich wieder wettgemacht werden. Noch ist das Jahr jung und die Chance auf ein verstärktes Wachstum, nach der gefühlt “sehr langen“ Einnahmens-Durststrecke, groß. Die vielen Einschränkungen sind Geschichte und einem erneuten Durchstarten des Volkes steht nichts mehr im Wege. Alles scheint bereits vergessen, als ob in den letzten Wochen nie etwas passiert wäre. Lediglich die Bildungsinstitute verweilen noch in einem zarten Dämmerschlaf und befolgen die letzten Reste der Beschränkungen und Gebote.

 

Erhobenen Hauptes wenden sich Führungskräfte und Manager von Großkonzernen an ihre Mitarbeiter und loben den steinigen Weg, den wir alle gemeinsam gegangen sind. Die Träger der Verantwortung haben das Schiff namens „Unternehmen“ erfolgreich durch die stürmische See „Corona“ navigiert, auch wenn dafür einige tausend Leute in die Arbeitslosigkeit geschickt werden mussten. Eine harte, wirtschaftlich vernünftige, Entscheidung und somit in Krisenzeiten als Kollateralschaden durchaus vertretbar.

 

Dennoch stellt sich gerade deswegen die berechtigte Frage, ob aus der letzten großen Krise, der Weltfinanzkrise 2008, etwas gelernt wurde? Oder werden wie damals, ein paar wenige Profiteure Monate später wieder für diese grandiose Leistung mit exorbitanten Boni beglückt werden? War es die große Leistung der Führungskräfte oder wie in der Krise so oft propagiert, die Leistung von uns allen? Der Manager, der Regierung, allen Menschen, die sich über mehrere Wochen an die Ausgangsbeschränkungen gehalten haben, allen Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreut haben und den vielen „Helden des Alltags“, wie Pfleger, Ärzte, Lebensmittelversorger, Müllabfuhren und und und …

 

Werden die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der überstandenen Corona-Krise dieses Mal zu einem Umdenken der Gesellschaft führen? Wird die Arbeit der vielen „Helden des Alltags“ jetzt mehr geschätzt als zuvor oder hat der Neustart der Wirtschaft diese kurze Epoche der Solidarität schon längst wieder in den Hintergrund verdrängt? Werden die dürftigen Löhne im Sozialbereich, im Handel oder in der Kinderbetreuung zumindest in naher Zukunft anders gesehen, bewertet und angepasst werden?

 

Wer bestimmt letztendlich wie viel Arbeit wert ist? Im Kapitalismus angeblich Angebot und Nachfrage? Müssten dann bei der derzeitigen Nachfrage an Pflegepersonal und Mitarbeitern für die Lebensmittelversorgung diese Personengruppen nicht sehr, sehr viel mehr Geld verdienen als zuvor? Wie können Löhne und Gehälter generell begründet werden? Warum verdient eine 24-Stunden-Betreuerin circa 1.700.- EUR, ein Pflegehelferin 1.900.- EUR, eine Regalbetreuerin im Handel 1.500.- EUR oder eine Kindergartenpädagogin 1.900.- EUR? Und hier sprechen wir nicht von Nettolöhnen, sondern von Bruttodurchschnittslöhnen.

Warum verdient ein Handwerker ca. 2.000.- EUR, ein IT-Techniker 3.000.- EUR und ein langjähriger Büroangestellter mindestens 4000.- EUR? Und jetzt wird es erst richtig verrückt, unlogisch oder wie auch immer dieser Umstand benannt werden will. Warum verdienen gewisse Manager österreichischer Aktiengesellschaften durchschnittlich mindestens 2,2 Millionen EUR pro Jahr oder für einen leichteren Vergleich ungefähr 150.000.- EUR pro Monat? Weil sie das ganze Risiko und die volle Verantwortung tragen? Wie hoch war das Risiko der Pfleger, Zivildiener, Rettungskräfte und vieler anderer in der Corona-Krise? Hoch, extrem hoch? Wer war der Gefahr unmittelbar ausgesetzt? Die Führungskräfte oder der kleine Mann/die kleine Frau vor Ort? Wie viel mehr Lohn hätten dann alle diese Menschen für ihren Einsatz nach dem Credo “Angebot-Nachfrage” verdient? Alleine von Lob, Ruhm und Anerkennung können auch diese Menschen ihre Mieten nicht bezahlen…

 

Werden nach der Krise die Globalisierung und der Exportwahn auf ein vernünftiges Maß reduziert werden? Macht es nicht Sinn, auch zukünftig auf regionale Produkte zu setzen, die regionalen Landwirte besser zu unterstützen und Lebensmitteln wieder den Stellenwert zukommen zu lassen, der ihnen gebührt? Wie schwachsinnig ist es, weiterhin an der Geschäftsidee eines weltweiten Frischfleischexports festzuhalten? Sollen lebenswichtige Medikamente auch in der Zukunft in Asien produziert werden, um dadurch die bestmögliche Marge zu erzielen? Sollen gewisse Großkonzerne die Möglichkeit von Dumpinglöhnen in Fernost, sklavenähnliche Arbeitsbedingungen in Afrika und Ausbeutung von Kindern, weiter ausnutzen dürfen?

 

Bei so vielen offenen Fragen sinkt meine Hoffnung auf eine sinnvolle Veränderung jeden Tag ein bisschen mehr. Im Gegenzug dafür steigen meine Zweifel zusehends, dass auch durch diese Krise, keine weitreichenden Lehren gezogen, keine Erkenntnisse für eine Veränderung in die richtige Richtung gesetzt, die großen Themen der Zukunft nicht wirklich so ambitioniert in Angriff genommen werden, wie es notwendig wäre. Der Höhepunkt des Leidens scheint überschritten zu sein und mit ihm die großen Visionen und Vorsätze, die in der Krise gefasst wurden, zu Grabe getragen. Das neue erklärte Ziel ist offensichtlich die schnellstmögliche Rückkehr zur alten Routine - koste es, was es wolle. Und das, obwohl wir durch die erzwungene Zwangspause binnen kürzester Zeit, die positiven Auswirkungen auf Mensch und Natur erleben durften. Das Wasser in den Kanälen von Venedig wurde glasklar, die Luftqualität der großen Metropolen verbesserte sich erheblich, Smog wurde zur Seltenheit und der eingeschränkte Flugverkehr sowie die reduzierten Produktionsleistungen der Fabriken führten zu einer spürbaren CO2-Reduktion.

 

Das wir in Zukunft für eine intakte Natur die gesamte Wirtschaft auf ein Minimum herunterfahren müssen, ist gleichsam utopisch wie unnötig. Aber eine sinnvolle Reduktion aller Wirtschaftsbereiche auf ein ökologisch verträgliches Maß und die Erkenntnis, dass ewiges Wirtschaftswachstum weder existiert noch funktioniert, wären wichtige Schritte im geplanten Kampf gegen den Klimawandel.

 

Ich hoffe, dass nicht alle guten Ansätze und Erkenntnisse dieser großen Pandemie für den schnellstmöglichen Wiederaufbau der Wirtschaft geopfert werden und schneller, als sie erarbeitet wurden, postwendend wieder in Vergessenheit geraten.


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