Es war einmal eine Blumenwiese...

Ein wunderschöner Frühlingstag im Land der Hoffnung beginnt. Der Himmel ist beinahe wolkenlos und erstrahlt in einem sattem blau. Die Luft ist klar und rein. Die aufsteigende Sonne erwärmt mit ihren Strahlen langsam die Erde und verbreitet eine wohlige Wärme. Eine Wiese mit saftigem grünen Gras und einer Vielzahl von bunten Blüten, ein idyllischer Tummelplatz für eine Heerschar von Insekten und Tieren, liegt Herrn Traum zu Füßen. Bienen und Hummeln summen, fliegen hektisch von einer Blüte zur nächsten und erfreuen sich am leckeren Nektar. Jede einzelne Blüte verströmt einen besonderen Duft und wie durch Magie lässt die schöpferische Hand Gottes aus diesen vielen einzelnen Duftnoten eine geniale Komposition, eine Art natürliches Parfum, entstehen. Welch ein olfaktorischer Genuss.

 

Plötzlich wird Herr Traum durch das Starten eines Rasenmähers unsanft aus dem Schlaf gerissen. Das lärmende und stinkende Benzinungetüm des Nachbarn hat seinen wundervollen Tagtraum abrupt beendet. Im Reich der Realität zurückgekehrt, wird ihm langsam bewusst, dass die erlebte Idylle der schönen Blumenwiese leider nur eine Illusion war. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass solche bunten Meere an Blüten in der heutigen Zeit nur mehr selten zu finden sind. Vielmehr sind in den letzten Jahrzehnten immer größer werdende Monokulturen und perfekt gepflegte Rasen, welche sich die Elite der Grundstücksbesitzer gönnen, vorherrschend geworden. Er kann sich nicht mehr genau erinnern, wann der Hype eines perfekten Rasen begonnen hat, aber er weiß, dass er sich wie ein Virus auf die vielen Gartenbesitzer ausgebreitet hat. Die bunten Blumenwiesen von früher sind den perfekt gepflegten Rasen von heute geopfert worden. Einem Rasen, der über ein sattes Grün verfügen muss, keine Spuren von Unkraut aufweisen darf und deren Grashalme exakt fünf Zentimeter hoch sein sollen. Nur Leute, welche diese hohe Kunst der Rasenpflege beherrschen, gehören zu den wahren Gartenkönigen der Vorstadt.

 

Mit leicht gesenktem Kopf und traurigem Blick denkt Herr Traum über die Zeitverschwendung der vielen Hobbygärtner und die Zerstörung unserer Mutter Erde durch die riesigen Agrarkonzerne nach.

Wieviel kostbare Zeit vergeuden die Menschen für einen Kampf, den sie ohnehin nicht gewinnen können?

Über Jahrtausende hat die Natur gelernt, sich an die sich verändernden Bedingungen anzupassen und dennoch glaubt der naive Mensch, Unkraut und all die Pflanzen, die nicht in das idyllische Konzept des perfekten Gartens passen, bekämpfen und ausrotten zu können. Welch eine überhebliche Vorstellung! Trotzdem scheint gewissen Leuten zur Erreichung ihres hochgesteckten Zieles jedes Mittel recht zu sein. Es werden Chemiekeulen - es lebe Glyphosat - und Brachialgewalt eingesetzt, es werden Unmengen an Trinkwasser verschwendet, nur damit der perfekt gepflegte Rasen für kurze Zeit die selbsternannte Elite mit einem makellosen und sattem Grün beglücken kann.

 

Doch Herr Traum weiß, dass das Glücksgefühl des unkrautlosen Rasens nicht lange währt und die Natur sich ihren Platz langsam aber sicher zurückerobert. Die Samen der wilden Pflanzen sind robust, zähe und haben es gelernt sich immer und immer wieder an die verschiedensten Umweltveränderungen anzupassen. Bereits nach kurzer Zeit sprießen schon wieder die ersten zarten Pflänzchen und machen dem Perfektionsmuswahn des scheinbar intelligenten und kultivierten Menschen schneller als gedacht zu Nichte. Nun steht der Mensch vor der Wahl und muss eine Entscheidung treffen.

Soll der Kreislauf der Vernichtung von vorne beginnen? Oder kommt der Mensch zur Besinnung und erlangt die Einsicht, dass nur der gemeinsame Weg, der Weg mit und nicht gegen die Natur, auf lange Sicht der einzig Sinnvolle sein kann.

Weniger Chemie, weniger Perfektionismus, weniger Frust, dafür mehr Diversität, mehr Freude und Zeit zum Erleben der Natur. Die eine oder andere ungewollte Pflanze im perfekten Rasen ist kein Weltuntergang und sollte die Menschen nicht erzürnen, sondern erfreuen. Ist das Leben nicht viel zu kurz, um sich einen wundervollen Tag durch eine künstlich gezüchtete Idealvorstellung vermiesen zu lassen?


Seufzend lässt sich Herr Traum in seinen Liegestuhl fallen und genießt die letzten Sonnenstrahlen des heutigen Tages. Die Sonne sinkt langsam dem Horizont entgegen, wandelt ihre Farbe von goldenem Gelb in feuriges Rot und verschwindet schlussendlich völlig aus seinem Blickfeld.


Herr Traum schließt für einen kurzen Moment seine Augen und hofft, dass seine Wünsche und Träume vielleicht eines Tages wieder Wirklichkeit werden.

 


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